Es gibt ganz klar einen Unterschied zwischen Ost und West im Baltikum. Der Osten ist viel ärmlicher. Aber auch Aluksne, an der Grenze zu Estland und ganz nah an der russischen Grenze erscheint uns anders, wohlhabender, properer als das, was wir vorher gesehen haben.
Vom Pfarrer Glück, der hier die Bibel ins Lettische übersetzte, finde ich am Interessantesten die Geschichte seiner Magd, die später die Gemahlin Peters des Großen wurde und nach dessen Tod sogar zwei Jahre lang regierende Kaiserin von Russland war.
Katharina I. (Russland) - mal bei Wikipedia nachsehen
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Ruinen der Marienburg im Hintergrund |
Nettes Gespräch in der Touristen-Information, keineswegs oberflächlich.
Wir erfahren, daß es in Aluksne eine Militärschule gibt.(Übrigens wollte Harri am Abend vorher auf deren Parkplatz übernachten. ;-) Er hatte das Schild nicht gesehen). Da kommen auch immer mal Soldaten aus der Ukraine hin, zum Erholen und zur Ausbildung. Immer, wenn ein neuer Schub Ukrainer in Aluksne angekommen ist, wird merkwürdigerweise das Internet in der Stadt ganz langsam.
Man hat ja auch schon von GPS-Störungen über der Ostsee gelesen, und Finnair fliegt den Flughafen in Tartu nicht mehr an, weil dort nur per GPS gelandet werden kann. Alles sehr mysteriös. Oder auch nicht.
Man sei beunruhigt, aber man müsse die Angst auch ein bißchen verdrängen, man könne so nicht leben. Manche Leute hier sagen aber, es ist keine Frage, OB die russische Invasion kommt, sondern WANN. Und wie es denn mit uns sei, fragt die nette Dame. Ob wir keine Angst hätten, hier zu reisen. Dann erzählt sie noch, dass andere Touristen fragten, wohin man denn im Ernstfall fliehen könne. Sie lacht und sagt: Nirgendwohin natürlich. Wir sitzen in der Falle.
Wir besuchen eine Ort, der unser Gespräch noch einmal anders illustriert: Bei Zeltini gibt es eine ehemalige russische Raketenbasis. Das Gebiet ist öffentlich zugänglich. Zu Beginn sehen wir eine Menge Soldaten (oder Privatleute) im Camouflage-Outfit, die ganz offensichtlich ein Training absolvieren. Wir können ungehindert vorbeifahren. Einer winkt und lacht. Es geht durch den Wald, es gibt verfallene Häuser, einen holzverarbeitenden Betrieb, Bunker, Lagerhallen für die Raketen, auch so etwas wie Abschußstellen. Plötzlich ein riesiger Lenin-Kopf. Den hatte man - im Gegensatz zu allen anderen russischen Denkmälern in Lettland - stehenlassen an diesem Ort, zur Mahnung. Diese Raketen hatten eine Reichweite von 2000 km. Bis Berlin wären sie sicher geflogen, wenn der Kalte Krieg nicht kalt geblieben wäre.
Wir schütteln alle schaurigen Gedanken ab, was nicht so leicht ist, und machen uns auf den Weg gen Westen. Nach Sigulda wollen wir fahren und dort auf den Campingplatz. Erstens haben wir den Auftrag, dort eine Flasche Wein abzugeben als Dankeschön für im vergangenen Jahr geleistete Hilfe. Zweitens wollen wir mal ein bißchen ausruhen.
Direkt am See steht eine kleine Glamping-Hütte mit Doppelbett, so dass man vom Bett aus direkt aufs Wasser gucken kann. Einen ganz eigenen Badestrand hat das Hüttchen auch. In Dusche und WC gibt es nicht nur Papier, Papierhandtücher und Seife, auch ein Kinderhocker hängt zur Benutzung an der Wand. Hinter der Rezeption finden sich abschließbare Fächer, in denen man sein Handy aufladen kann. Auch stehen dort Feuerkörbe neben einem Holzstapel. Man darf sich dort bedienen, wird aber gebeten, eine Spende in eine kleine Geldbox zu tun. Mitten im Gelände steht ein kleiner „Glaspalast“ mit elegant gedecktem Tisch. Das uralte Wohnhaus von Urgroß- und Großmutter sieht von außen wunderschön aus. Leider ist es aber innen ziemlich heruntergekommen. Wie mir Artus berichtet, wurden dort drei russische Familien einquartiert, nachdem man seine Vorfahren nach Sibirien verschleppt hatte. Bei ihrer Rückkehr fanden sie alles verwahrlost und unsachgemäß bearbeitet vor. Auch konnten sie natürlich die Familien nicht einfach vertreiben. Jetzt steht das Haus endlich leer, aber es fehlen Zeit und Geld für die sachgemäße Wieder-Instandsetzung.
Das neue Blockhaus daneben hat er in vierjähriger Arbeit selbst gebaut, es ist noch nicht ganz fertig, soll aber dann die Sanitäranlagen und eine Küche beherbergen. Auch eine überdachte Terrasse wird es geben, damit Zelter sich bei Regen dorthin zurückziehen können.
Der See gehört der Gemeinde, und jedermann darf die Ufer betreten. Nun wäre dieser Campingplatz ein Sonderfall, denn bei der Rückgabe des Landes an die Familie wurde das Grundstück in den alten Grenzen zugrunde gelegt. Vor dem Bau eines Dammes an der rechten Uferseite war der See um einiges kleiner. Deshalb gehören auf dem Papier der Familie jetzt auch noch 7 m Land „unter Wasser“. Theoretisch könnte also Artus darauf bestehen, daß hier am Campingplatz niemand am Ufer entlanggehen darf. Natürlich tut er das aber nicht.
Es ist schön und friedlich hier. Die Vögel zwitschern, es gibt Fische im See, auch einen Otter und manchmal Wild aus dem Wald. Das älteste Naturschutzgebiet Lettlands schließt sich hier an. Im Winter, wenn der See zugefroren ist, überqueren ihn gern die Füchse, um bei den Menschen nach Futter zu suchen.
Heute weht hier ein kräftiger Wind. Ich sitze auf einer Holzbank und warte darauf, dass die Waschmaschine fertig wird. Wir haben uns einen Haushaltstag verordnet, Harald hat Probleme mit unserem W-Lan und bastelt in der Karre herum. Außer uns ist natürlich wieder niemand da. Aber das ist ja gerade das Schöne.
Wir wollen hier ein paar Tage bleiben. Nach Riga kann man mit
der Bahn fahren, kommt dort direkt im Zentrum an. Die Fahrt dauert eine Stunde
und kostet 2,50 €. Das werden wir morgen mal austesten.
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