Ich komme grad nicht hinterher…
Tartu ist ein großartiger Mix aus gut erhaltener Altstadt, allgegenwärtigem Universitätsleben und gelungener Moderne.
Man hat hier weder den Fehler gemacht, etwas gänzlich Zerstörtes "originalgetreu" wiederaufzubauen (das macht Litauen gern), noch - wie z.B. in Rezekne - größenwahnsinnig ultramoderne Projekte zwischen Ruinen zu pflanzen. Der Bürgermeister von Rezekne ist übrigens unter Korruptionsverdacht verhaftet worden. Aber das ist ein anderes Land und eine andere Geschichte. Man darf nicht den Fehler machen, die drei Staaten des Baltikums in einen Topf zu werfen. Wie unterschiedlich die Länder sind, konnten wir auf unsrer Reise sehr gut erkennen.
"Es war Estland nicht unbedingt in die Wiege gelegt, einst an der Spitze der technischen Entwicklung zu stehen.
Als der kleinste Baltenstaat 1991 unabhängig wurde, hatte erst jeder zweite überhaupt Zugang zu einem Telefon. Landesweit gab es nur ein einziges Handy. Das gehörte dem frischgebackenen Außenminister Lennart Meri und lag - für alle Fälle versteckt - in seinem Garten.
Lennart Meri wurde später Estlands Präsident. Ein Foto auf seinem Schreibtisch zeigt die Mühen eines Ferngesprächs anno 1990 zwischen Tallinn und New York. Wenn Meri mit seinem Honorarkonsul in den USA sprechen wollte, rief er in Stockholm an, bei einem Mittelsmann, der über den Luxus zweier Telefone verfügte. Es gab einfach keine internationalen Leitungen zwischen Ost und West. Dort lief dann auch das Gespräch aus New York an, und die beiden Telefone wurden aneinandergehalten, Hörer an Sprechmuschel."
aus: Tilmann Bünz "Wo die Ostsee Westsee heißt"ISBN 978-3-442-71659-3 WG 2360
Im estnischen Nationalmuseum kann man sich nicht nur sehr gut über die Geschichte und Kultur des Landes informieren, sondern auch die Errungenschaften digitaler Technik genießen: meine Eintrittskarte enthält einen kleinen Chip, der mir die Erläuterungen zu den Exponaten in meiner Landessprache anzeigt. Und ich kann die Informationen sogar speichern und später im Netz abrufen.
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Der Dom
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in der Fußgängerzone
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Akademie der Wissenschaften
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Johanneskirche |
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mit dem Sarkophag der Baroness Anna Elisabeth von Münnich (herg. Lübeck 1747/Begräbnis 1761/aufgefunden im Zuge von Restaurationsarbeiten 1988)
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Kinderecke mit Büchern und Spielzeug
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Dies sind Keramikabbildungen der verschiedenen Stifter der Kirche
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Ein Jugendchor aus Nordflorida gibt hier ein Konzert im Rahmen des Kulturhauptstadt-Festes
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selbstgenähte und -bemalte T-Shirts für Studentenproteste Ende der 1980er
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Erfindungsreichtum in der Sowjetzeit (hier ein Rasenmäher)
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Estnische Muster
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Geschichte der estnischen Fahne
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Das Original war in der Sowjetzeit vergraben
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Deportation nach Sibirien: was man in letzter Sekunde mitnehmen konnte (Individuelle Erzählungen)
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Das Museumscafé
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Ein anderes Café zum Ausruhen, der Blick geht nach hinten hinaus zur ehemaligen Start- und Landebahn des sowjetischen Militärflughafens, auf dem das moderne Gebäude steht
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So viele Dialekte in Estland!
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Traditionelle Gewänder
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Die Sprachverwandtschaften
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Programmanzeige im Museum
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Der Bau von außen
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Wir verbrachten fast einen ganzen (Regen)tag in diesem interessaten Museum und hätten noch länger bleiben können. Die ständige Ausstellung zeigt alles - von der Steinzeit bis Heute. Was ich allerdings vermisst habe, sind Exponate und Erzählungen zu den Minderheiten. Ein Ergebnis der rigiden Sprach- und Kultur-Politik der letzten Jahre?
Auf dem Fuß-Weg von unserem Stellplatz in die Altstadt kamen wir immerhin an einer Tafel vorbei, die den Standort der ehemaligen Synagoge bezeichnete. Heute steht dort ein mehrgeschossiges Wohnhaus.
Wenn es ein wenig wärmer gewesen wäre (wir hatten durchgängig 8-9 Grad und scharfen Wind), hätten wir das städtische Leben sicher noch mehr genießen können. Aber auch so sind Spaziergänge durch die Altstadt und über den Domberg ein Genuß. Der Frühling zeigt sich in "fifty shades of green", wie Artus aus Sigulda sagte, das Leben wirkt leichter und emsiger, als es in vielen anderen Gegenden des Baltikum des Fall war.
Gestern sind wir dann gen Norden aufgebrochen. Am Ufer des riesigen Peipus-Sees (7x Bodensee) entlang siedeln zur Zeit Millionen von Kanada-Gänsen. Unsre Versuche, irgendwo hier ein Nachtlager aufzuschlagen, wurden vereitelt - denn die Wiesen waren derart vollgeschissen, daß es keine Freude gewesen wäre.
Es gäbe da noch Narva, direkt an der russischen Grenze, mit 95 % russischem Bevölkerungsanteil und dem einzigen noch offenen Grenzübergang - und Sillamäe, einstiges Seebad und später Industriezentrum für den uranhaltigen Ölschieferabbau (und damit "geschlossene Stadt" ohne Postadresse und Verzeichnung auf der sowjetischen Landkarte).
Aber wir beschlossen, uns Richtung Westen zu orientieren. Mit Tallinn und Helsinki stehen kurz hintereinander zwei große Städte auf unsrer Reiseroute. Da braucht es zwischendurch eine kleine Erholung.
Die fanden wir gestern hier an der Steilküste zur Ostsee bei einem Hotel mit Spa. Ich vermute, daß es sich um ein ehemaliges baltendeutsches Herrenhaus handelt, Informationen dazu gab es nicht.
Auf dem Grundstück stehen ein ehemaliger sowjetischer Leuchtturm und ein Denkmal zur Umsiedlung von Baltendeutschen in den Jahren 1939 bis 41.
Wir duften das kleine Spa benutzen und haben hier eine geruhsame Zeit verbracht.
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