Der Tag gestern begann mit Irritationen: das Wasser im WoMo lief nicht recht, ein Blick nach draußen untermauerte die Analyse: es war wahrscheinlich nachts so kalt gewesen, daß der Frostwächter einen Teil des Wasservorrats hatte auslaufen lassen. Nicht so schlimm, aber auch keine Ermunterung für Ausflüge nach draußen. Wir ließen es langsam angehen, tranken Tee, frühstückten gemütlich, duschten im Haus und wagten uns am Ende doch vor die Tür.
Die "Feldstudien" in unserem jetzigen Wohngebiet ergaben folgende Erkenntnisse:
Das Downtown-Forrest-Camping-Haus war früher mal ein Kindergarten. Es gab in diesem Gebiet Tabak- und Papierfabrikation, auf der Strasse lief eine Buslinie entlang. Dieser Kindergarten war für die Kinder der Fabrikarbeiter. Das auf der anderen Straßenseite hippe Neubauviertel ist etwa 5 Jahre alt.
Es besteht im Wesentlichen aus Bürogebäuden, Wohnungen und Ladenlokalen. Eine Wohnung mit zwei Zimmern hier kostet 1 Mio € (Kaufpreis), die Miete für eine Einraum-Wohnung beträgt etwa 600 €. Der Durchschnittsverdienst hingegen 2000 €. Wenn man also alleinstehend ist, keine Kinder, keine Tiere hat, kann man hier überleben, allerdings sollte man seine Einkäufe anderswo als in den hiesigen Läden tätigen. Viele der Wohnungen hier sind von Firmen für ihre Mitarbeiter angemietet oder gekauft.
Ein paar Hundert Meter weiter liegt der Stadtteil Uzupis, da lebt es sich etwas günstiger. Allerdings sind die Häuser in wesentlich schlechterem Zustand. Die Künstlerkolonie mit eigener Verfassung hat sich hier in einem Viertel gegründet, das früher hauptsächlich jüdisch war. Nach dem Holocaust war es mehr oder weniger entvölkert und lange Zeit dem Verfall anheimgegeben. Dann siedelten sich hier nach und nach wieder Menschen an, allerlei zwielichte Gesellschaft, Outlaws, Künstler. Heute ist es als Künstlerviertel bekannt. Es gibt aber deutlich mehr Friseure als Galerien, habe ich festgestellt. Aus einem Gespräch mit einem Maler wissen wir, daß die Utopie (Uzupis) eines gleichberechtigten Daseins hier auch nicht mehr so ganz greift: wer in einer der inzwischen kommerziellen Galerien ausstellen möchte, muß dafür 1500 €/Monat auf den Tisch legen. Er macht jetzt zusammen mit ein paar Freunden eine Bar auf.
Die Verfassung von Uzupis in 30 verschiedenen Sprachen |
Ausflug heute am niederschlagsfreien Tag nach Trakai, wo wir die Inselburg besichtigen. Die wird gründlich wiederaufgebaut und beherbergt ein historisches Museum mit allerlei Sammlungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserburg_Trakai
Interessant in Trakai ist auch die Karäer-Straße. Die Karäer haben als eine Art Söldner dem Großfürsten gedient. Ihre Kultur und ihre Küche sind in Trakai erhalten geblieben.
Der Palace of the Grand Dukes of Lithuania ist ebenfalls einen Besuch wert: hier erfährt man alles über die Geschichte Litauens. Über den Mauerresten des alten Palastes errichtet und teilweise rekonstruiert, bietet er eine Fülle von Informationen.
Die historische Ausstellung ist didaktisch gut gemacht, aber am Ende schwirrt mir der Kopf.
Dann ist es in diesem Gebäude aber wie bei Ikea: man wird noch überall vorbeigeleitet, wo es was zu sehen gibt, Entkommen unmöglich. Als wir uns weigern, die Interiors zu besichtigen, sondern stattdessen das Ansinnen äußern, den Aussichtsturm zu besteigen, ist man fast beleidigt.
Die Entscheidung, den Ausguck zu besuchen, war aber goldrichtig: man hat von hier oben einen wunderbaren Blick über die ganze Stadt.
Mein anfänglicher Eindruck über die verschlossenen Litauer wurde übrigens hier in Vilnius revidiert: wir treffen hier viele sehr aufgeschlossene und kommunikative Menschen.
und daß die Litauer wunderbar singen können, erleben wir in der ebenfalls wunderbaren gotischen Backsteinkirche St.Anna
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