Unsre freundliche Wirtin hatte Mitleid mit uns und ließ uns durch ihre Hilfe, Paula, mit dem Auto nach Rabaçal bringen. Eine kurze Strecke, doch Zeit genug für mich, alles über Maria Paula und das Baby in Erfahrung zu bringen. Ich spreche eine mehr oder minder gelungene Mischung aus Portugiesisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, aber unsre Chauffeuse verstand mich gut und gab fröhlich Auskunft: Maria Paula ist gar nicht die Mutter, sondern die Großmutter des Babys. Die Mutter, ihre Tochter, ist zusammen mit ihrem Mann in Ruanda. Maria Paula selbst ist geschieden und hat ein Faible für die Römer (unsre Zimmer hatten alle römische Bezeichnungen). Das Anwesen ist ganz stattlich. Woher nun aber dieser Wohlstand kam, habe ich nicht herausbekommen.
Während meines Interviews saßen die beiden Amerikanerinnen stumm und griesgrämig auf den hinteren Sitzen. Ich wollte ihnen etwas von meinen Ermittlungen mitteilen und wandte mich um. Sie sahen mich ratlos an, bis mir klar wurde, dass ich mit ihnen Deutsch gesprochen hatte. Noch eine Fremdsprache morgens um 8 wollte mein Hirn nicht mehr hergeben. Allerdings kamen von den Hintersitzen sowieso nur mürrische Wellen, ob sie sich gestritten hatten oder einfach morgenmufflig waren, weiß ich nicht.
Ich gab Paula, die sich heftig weigerte, ein Tipp (das Taxi hätte 7€ gekostet, wie ich der App Rome2Rio entnahm) und bat die Amerikanerinnen, desgleichen zu tun. Wir hielten an einer Bar in Rabaçal, die Beiden stürzten hinein und ich machte mich auf meinen Caminho.
Ich brauche hier morgens eigentlich gar nichts und gehe lieber erst mal 10 oder 12 km, bevor ich mich zu einem Frühstück niederlasse. Anscheinend ist mein Körper ausschließlich auf Bewegung eingestellt, richtigen Hunger (oder auch Durst) hab ich fast nie. Ich hatte ja gestern auch kein richtiges Abendessen (The Americans had a peregriño-meal for 10€: Soup, meat, fries and rice and wine 👍 🤗 ), aber trotzdem wollte ich erst mal laufen.
Und schon ging es mit dem im Wetterbericht angekündigten Regen los. Mein Mantelcape erwies sich als äußerst funktionstüchtig und so wanderte ich frohgemut durch Ölbaumfelder und Weinreben.
Irgendwann trabte hinter mir Josef, ein Engländer aus Manchester. Langsam hab ich die Caminho-Etikette raus. Erste Frage: where do you come from? Zweite Frage: where do you go today? Dritte Frage: what‘s your name? Vierte Frage: which nationality? Nachdem wir das ausreichend geklärt hatten, informierte mich Josef, der schlecht ausgerüstet und klatschnass war, dass dieses Wetter einem Engländer aus Manchester gar nichts ausmacht. Außerdem sei er die letzten 9 Tage so viel gelaufen (more than 30 keys (=kilometer) per day), dass er jetzt mal bisschen langsam machen müsse. „See you in Santiago“, sprach‘s und verschwand mit langen Schritten im Regen.
Der Weg heute war viel Schotter- und kleine Straßen, ich war darüber nicht sehr böse, denn auf eine Schlammschlacht hatte ich nicht so viel Lust.
Hier ein Sanctuarium der besonderen Art. Ich hätte mir einen Stempel holen können, aber es war mir zu nass und soooo wichtig sind mir die Stempel ja auch nicht. Es war auch niemand zu sehen außer einer netten schwarzen Hündin, die mich eine Weile begleitete.
Irgendwann holte Josef mich wieder ein, er hatte unterwegs noch irgendwelche Römer-Ruinen besichtigt und wir gingen eine Weile zusammen. Beim nächsten Anstieg ließ ich ihn dann aber laufen, ich weiß ja, dass ich langsam bin.
Bald darauf sah ich ihn aber schon wieder, als ich nämlich in Conimbriga nach einer Bar suchte. Er rannte hinter meinen mürrischen Americanos her, kam dann aber zurück. Er hatte eine Bar entdeckt, die hatten anscheinend eine gesucht, und er wollte sie informieren, aber sie waren grumpy. Ich hab ja schon gelernt, dass auf dem Caminho die erstbeste Bar immer die beste ist, und so gingen wir zusammen hin. Für die beiden Amerikanerinnen, sagte Josef augenzwinkernd, wäre es genau das richtige gewesen: eine amerikanisch aufgemachte Karaoke-Bar mitten im Nirgendwo. Die Mädchen, die dort bedienten, waren sehr freundlich und interessiert, und als ich sagte, dass ich heute nach Coimbra gehe, wurde ich gleich mit vielen Tipps bedacht. Die Bibliothek der Universität müsse ich mir unbedingt ansehen, sagte die Jurastudentin, das sei wie bei Harry Potter.
Von Josef erfuhr ich nun, dass er Koch von Beruf ist und sogar schon mal für Tony Blair gekocht hat. Wir erörterten ein bisschen die politische Lage in England, er erklärte mir, warum er für den Brexit gestimmt hatte (Deutschland und Frankreich machen aus Europa ein deutsch-französisches Imperium), erzählte, dass er letzte Nacht in einer Kirche geschlafen hat…Er ist nett, 41 Jahre alt, weitgereist und kann sich vielsprachig verständigen. Irgendwann machte er sich auf in seine Albergue und ich mich wieder auf den Weg.
Man wird ja unter dem Cape auch nass und in den klimatisierten Bars holt man sich dann fast eine Erkältung. Draußen war es wärmer als drinnen, aber auch ein bisschen schwül. Ich hatte mir einen Hamburger gegönnt und zwei alkoholfreie Cervejas und das Wandern lief wieder wie am Schnürchen.
Aber man merkt dann schon, dass man sich einer großen Stadt nähert: überquert die Autobahn, die Stille der vorangegangenen Tage weicht einem hintergrundigen Verkehrsgebrumm, es gibt mehr Industrie und die Vorstädte mit ihren hässlichen Mietskasernen lugen durch die Bäume. Also stieg ich bei nächster Gelegenheit in den Bus (auch so was gab es schon) und fuhr ins Zentrum von Coimbra.
Ein bisschen was erkannte ich wieder: vor 36 Jahren war ich schon mal hier mit dem kleinen Till. Der Bus fuhr am Portugal des Pequeñitos vorbei, das ist so eine Mini-Stadt hier am Ufer des Mondego. Ich glaube, da wollten wir damals noch hin, als uns Noemia auflas und mit zu ihren Eltern auf die kleine Selbstversorgerquinta in der Serra da Estrela nahm. Wir waren vorher ein paar Tage in Coimbra gewesen.
Ich habe mir für morgen einen Tag zum (Wieder)-Entdecken von Coimbra genommen.
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